Die gläserne Decke der Förderlandschaft

Als freier gemeinnütziger Träger bekommst du für deine Projektideen Gelder von Stiftungen und anderen Fonds und Förderstellen. Das funktioniert nach dem Wettbewerbsprinzip. Es gibt Ausschreibungen, und du schickst deine Projektidee hin. Eine Jury trifft sich und entscheidet, ob dein Projekt gefördert werden soll oder nicht. Es gibt dann diese im Kalender rot angestrichenen Termine: „Die Jury tagt“. Danach wartet man auf einen Anruf oder Brief. Reißt mit zitternden Händen die Umschläge auf, flitzt zum Telefon. Kreischt, hopst, jubelt wenn es geklappt hat. Wie oft haben wir uns, zunächst Zuhause, später im Büro, auf dem Boden gewälzt, YEAH gebrüllt, eingeschlagen oder auch geheult und geflucht. Wer in der Jury sitzt, weiß man selten. Es sind Expert*innen auf dem Gebiet. Es macht natürlich Sinn, dass Expert*innen über die Vergabe entscheiden. Und sie haben sehr oft zugestimmt. Stiftungsgelder zu bekommen ist schöner als einen Job zu bekommen, den du wirklich wolltest. Jedes Projekt ist wie Dein Kind. Dein ganzes Sensorium ist mit jeder Schlüsselsituation verkoppelt, die zum Zustandekommen der Sache beigetragen hat. Und wenn die Zusage kommt, weißt du: Leute, Netzwerke, Kohle. Alles da! JETZT kann´s losgehen. Unsere Anträge lagen so ziemlich bei allen Jurys auf dem Tisch, deren Ausschreibungen diese Themenfelder berührte: Kulturelle Bildung, Diversität, Demokratie, Gender Mainstreaming, Sucht- und Gewaltprävention, Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit, Rassismus, Ausgrenzung von Minderheiten etc. pp.. Und so gut wie alle haben uns früher oder später gefördert und damit bezeugt, dass unsere Arbeit ihren Zielen entspricht. Und für diese Zuwendungen und den damit verbundenen Zuspruch waren und sind wir unendlich dankbar. 

Nach einer gewissen Zeit schleicht sich jedoch ein Gedanke ein. Er ist zunächst klein, aber er wird wachsen und der lässt einen fortan nicht mehr los: Was für ein unendlicher Luxus es wäre, wenn die gesamten zeitlichen Ressourcen, die gesamte Energie und Kreativität einzig und allein der Arbeit, um die es uns allen geht, zur Verfügung stünde?

Jetzt kann man einwenden: So funktioniert die Selbständigkeit nun mal nicht. Das stimmt. Etwa 60% der Zeit verwendet man für Akquise, Werbung etc. Nur - irgendwann rollt es dann, finanziell gesehen, quasi von selbst - wenn es gut läuft. Nicht aber, wenn du auf unserem Feld unterwegs bist. Wir nehmen keine Teilnehmerbeiträge. Unsere Arbeit ist aus Prinzip kostenlos für die Jugendlichen. Und selbst wenn - was für uns undenkbar ist, dennoch - wenn sie nicht mehr kostenlos wäre für die Jugendlichen, wie es bei anderen Einrichtungen ja der Fall ist, und selbst wenn wir den For-Profit-Bereich, bei uns den der Erwachsenenbildung, noch weiter ausbauen würden: Das Wort Anschubfinanzierung ist hier fehl am Platz. Auch wenn viele Stiftungen dieses Wort gerne gebrauchen. Hier wird nichts angeschoben, was dann am Ende von selber läuft. Unsere Hauptarbeit wird auf dem freien Markt auch in hundert Jahren keinen Tag überleben. Spätestens jetzt weißt du: Dieses Verhältnis das du zur Förderlandschaft hast ist ein lebenslanges Abhängigkeitsverhältnis. Meilenstein zwei. Wahre und unwahre Arbeit.

Als gemeinnütziger Verein bleiben die 60% der Zeit, die du für die Möglichkeit zu arbeiten aufwendest, also unverändert bestehen, Jahr um Jahr. Zeige mir eine Stiftung, die 60% ihrer Fördergelder für die Akquise von Fördergeldern ausgeben will. Wir haben noch keine gefunden. 

Und wir können das so-was-von-verstehen. 

Denn rein von der Sache her betrachtet, ist diese Arbeit kaum bis gar nicht relevant. Sie entzieht dem, worum es eigentlich geht, nur sehr viel Energie. 

Sehr schnell stellt man darüber hinaus auch noch fest: Eine bessere Bezahlung wird es nicht geben. Um es ganz kurz zu machen: Umgerechnet bleibt, auch nach zehn Jahren, ein Stundesatz, der unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Wer Genaueres wissen will, lese den Artikel einer Kollegin dazu: https://editionf.com/Selbst-Schuld-an-schlechter-Bezahlung

Aber wir können uns um andere Ressourcen bemühen, zum Beispiel um mehr Zeit FÜR die eigentliche Arbeit. Das nächste Ziel ist in Sicht. Mehr Zeit für wahre Arbeit. Weniger als 60% unwahre Arbeit. Doch um zu kapieren, dass das unser endgültiges Ziel ist, um es wirklich in Angriff zu nehmen, müssen wir zunächst die dritte Landschaft durchqueren. 

Meilenstein Nummer drei. Innovation und Nachhaltigkeit.

Projekte tragen den Innovationsgedanken in sich wie eine Schwangere das Kind, eines gehört zum anderen. Und sie sollen nachhaltig wirken. Auch klar. Was ist durch das Projekt nun entstanden an neuen Strukturen, Erkenntnissen, Ergebnissen und an Erfolgen? Beides versteht sich von selbst. Es entspricht dem menschlichen Wesen zutiefst. Etwas Neues kommt in die Welt. Und es wirkt und bewirkt dauerhafte Veränderungen. Das ist gut. Und wichtig. Genau so wollen wir es machen. Das Problem sind die Intervalle. Für eine Jury von Expert*innen, die ein Mal im Jahr tagt, liegt ein langer Zeitraum zwischen Projektidee und Bericht. Für uns, die es machen, ist es ein kurzer Zeitraum. 

Das wäre etwas, über das man sich mal in Ruhe austauschen müsste. Wie viel Zeit ist angemessen? Wann ist etwas fertig? Welchen Rhythmus braucht es? Vielleicht einfach um dem allgemeinen Effizienz-Wahn etwas entgegen zu setzen, behaupte ich jetzt mal kühn: Von einer Idee, die wirklich das Potential hat, Strukturen zu verändern und zu verbessern, bis hin zu ihrer sichtbaren, nachhaltigen Umsetzung und Wirkung IN der Welt, dauert es etwa sieben Jahre konstanter, wacher und verantwortungsvoller Arbeit.  Sicher spricht sehr, sehr vieles dafür, dass alles schneller gehen muss. Nicht zuletzt die Dringlichkeit aller bestehenden Probleme. Wir wollen doch auch, dass es schneller geht. Oft. Eigentlich immer. Aber die Erfahrung zeigt, wieder und wieder: Es geht nicht schneller! Also wird man innerhalb der gebotenen Zeit nicht fertig. Und bevor man durch ist, muss man sich schon die nächste Sache auf den Weg bringen. (YESSS!) Die Folge ist, dass wir keine Langzeitbeziehungen mehr mit Ideen eingehen, sondern nur noch „one night stands“. Arme Ideenwelt. Gedacht, gehyped und fallen gelassen. Den Schaden, den wir damit anrichten - es möge zukünftigen Generationen bestimmt sein, das genauer zu untersuchen. Hat eine Idee das Anrecht auf eine bestimmte Zeit der Beschäftigung mit ihr? 

Es betrifft ja nicht nur die Ideen allein. 

Sondern vor allem diejenigen, um die es geht. In unserem Falle also die Jugendlichen selbst. Sie sind ja die eigentlichen Innovateure unserer Arbeit. Sei es auf dem Feld der Kunst, des Denkens über den Menschen, des Miteinanders und des Wirkens. Diese Art der Innovation, und das ist die, die uns wirklich interessiert, gehört auf das Hoheitsgebiet der Jugendlichen, ist für uns als Geheimnis zu behandeln, das im Stadium der Antragstellung noch in den Tiefen der Zukunft verborgen liegt. Sehr oft haben wir erlebt, dass hier gerade etwas passiert - und dann ist das Jahr auch schon wieder rum. Dass wir viele Jugendliche wesentlich länger als ein Jahr begleiten, darüber dürfen wir in den wenigsten Projektanträgen wirklich mit der Freude reden, die wir zutiefst daran haben. 

Meilenstein Nummer vier. Die Ruinen des römischen Reiches.

Nachdem wir die letzte Landschaft zur Genüge durchquert haben, ist es wirklich klar.

Mehr Zeit für die eigentliche Arbeit! Das Ziel steht nun in goldenen Lettern über unserer aller Schreibtischen. Wir haben dieses Ziel konsequent verfolgt. Und eines Tages war der Durchbruch da. Wir haben es kaum geglaubt, aber wir haben es bekommen. Es ist das Geld das auf fein verästelten Wegen über die Europäische Union, über Bundesministerien wie das Ministerium für Bildung und Forschung, ausgeschüttet wird. Wir haben dank dieses Geldes das Wunder erlebt, dass wir unsere Projektzeiträume auf zwei, ja z.T. sogar drei Jahre verlängern konnten. Auf mehrere Standorte ausdehnen. Und unsere ganze Büroarbeit konnten wir auch endlich auf mehreren Schultern verteilen. Jetzt waren sie mit uns am Start: kompetente Leute, die das mit uns machten. Wir mussten uns nicht mehr um jedes Fitzelchen selber kümmern. Ein größeres Team, mehr Zeit für Jeden. Und ein Büro. Mit einer Kaffeemaschine. Ja, endlich werden wir von Leuten gefördert, die wissen, wie wichtig das alles ist:

Organisation und Verwaltung.

Organisation und Verwaltung?

Hier ist es auf einmal SEHR, SEHR wichtig. 

Worum soll es nochmal gehen in dem Projekt? 

Ich werde einen der ersten dieser Termine niemals vergessen. Rathaus Berlin Lichtenberg, morgens um zehn. Nach diesem Termin bekamen wir eine für uns damals astronomische Fördersumme. Wir saßen am Ende eines der größten Tische, den ich jemals gesehen hatte, in einem Sitzungssaal mit der Atmosphäre eines Aquariums. 

Viele, viele Männer in Anzügen, darunter der Bezirksbürgermeister, und ein paar Frauen mit Perlenketten um den Hals, schauten uns an.

Worum soll es nochmal gehen in dem Projekt?

Sobald wir zu einer umfassenden Beschreibung ansetzten, sah ich sie untertauchen. Irgendwo in der Ferne, lautlos schwebend im tiefen Blau des Aquariums, der Bezirksbürgermeister, die Haare sanft in den Wellen schaukelnd, mit glasigen Augen auf die silbern schimmernden Luftblasen starrend, die aus unseren Mündern kamen. Kurz bevor ihm endgültig die Luft ausging, warf er uns dröhnend die alles entscheidende Frage zu. Sie war sogar unter Wasser deutlich zu hören:

Und was soll es kosten?

Mit einem gewaltigen Platsch tauchte die ganze Mannschaft auf, schnappte nach Luft, saß in Sekundenschnelle wieder an dem riesigen Tisch, als wäre nichts gewesen. Die tropfenden Haare und Krawatten gekonnt überspielend. 

Wir nannten die Summe. Schweigen im Raum. Eine Frau mit Perlenkette wagte einen erneuten Vorstoß:

Und wofür?  

Wieder ab ins tiefe Blau...

Dieses Gefühl, als es trotzdem geklappt hatte. Wie, wenn man in der Apotheke den ersten Lutscher seines Lebens geschenkt bekommt. Nein, man fühlt sich noch kleiner und noch voller mit Versprechen, um dessen Einlösung sich die Apothekerin sowieso nicht kümmert. 

Aber es blieb nicht bei der ersten Förderung. Wir wurden zu weiteren Sitzungen eingeladen. In Hinterzimmern von Rathäusern, uns wurde zugeraunt: 

„Was ihr in drei Monaten geschafft habt, dafür brauchen andere mehr als ein ganzes Jahr.“ Effizienz ist das, was zählt. Klar. Das wussten wir.

„Wir treffen uns um 13:00 Uhr in Raum 304.“ 

Auf einmal war die Herausforderung, den Raum zu finden, in dem die Sitzung stattfand, größer, als das Geld tatsächlich zu bekommen. Was sind wir über karierte Teppiche gestolpert, an getäfelten Wänden entlang gehetzt. Wie in Kafkas Prozess, raunten wir uns zu. 

Das kann nicht gut ausgehen, war die ganze Zeit unser aller Gefühl. Irgendwann passiert etwas. Es passierte auch. Aber erst später.

Die Frage, die mich die ganze Zeit, als wir diesen Durchbruch erreichten, beschäftigte, war - wenn sie sich offensichtlich überhaupt nicht für die Inhalte interessieren, um die es uns geht, woher dieser Vertrauensvorschuss in Form von Geld? Denn in dieser ganzen Landschaft voller Anzüge und Sitzungssäle, Overheadprojektoren und PowerPoint-Präsentationen, voller getäfelter Flure und unfassbar großer Tische sind wir keiner Person begegnet, die wirklich, wirklich Lust hatte, mit uns zu reden über das, was wir vorhaben. Wofür wir eigentlich brennen.

Deswegen nenne ich es die Ruinen des römischen Reiches. Weil diese Landschaft seltsam menschenleer ist. Hinter jedem Schreibtisch steht ein weiterer Schreibtisch. Jeder ist Ausführender eines gigantischen Apparates an dessen Ende jedoch - und das ist der einzige Unterschied - kein Cäsar mehr steht, sondern noch ein Schreibtisch. Dieser - ebenfalls menschenleere - Schreibtisch bleibt, auch wenn derzeit alles dagegen spricht, hoffentlich leer. So lange bis die Ruinen des römischen Reiches endgültig zu Staub zerfallen sind und endlich Platz machen für die Neuzeit.

Denn wir wollen natürlich keinen Cäsar. Wir wollen selber denken und über Qualität und Sinn unserer Arbeit sprechen. Wir wollen Qualitätsdiskurse, keine Deutungshoheiten. Wir erleben tagtäglich in den Projekten und auch in der Arbeit drum herum, was für ein unsägliches Glück es bedeutet, wenn man tatsächlich den Mut findet, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Ganz klassisch im Sinne der Aufklärung. Dieses Glück wollen wir teilen. Wir wollen ja gar nicht missionieren. So verzweifelt sind wir doch noch nicht. Wir wollen, auch mit denen, die unsere Arbeit unterstützen, eine Begegnung auf Augenhöhe, Kontinuität, Wertschätzung und Vertrauen. Kurz - Beziehung.

Doch hier ist das nicht möglich. Dieses gigantische Reich ist nicht nur nicht mehr von Gottes Gnaden, es ist auch noch menschenleer und treibt, weit ab von der Neuzeit im Nirgendwo. Und verballert dabei vermutlich eine unfassbare Menge an Geld, wovon vermutlich nur ein ganz geringer Teil an Projekte wie das unsrige ausgeschüttet wird. Weil wir es aber sind, die den ganzen Apparat legitimieren, darf natürlich nichts schief gehen. Und dass nichts schief geht, dafür sorgen Paragraphen, von denen Niemand mehr weiß, wer sie verfasst hat. Die Paragraphen stehen in der Förderfibel.

Ja, wir haben die Förderung bekommen, aber über unseren Häuptern hängt nun eine 400 Seiten lange Förderfibel, die Niemand wirklich kennt. Außer der Sekretärin vielleicht, die gerade erst ein Praktikum absolviert hat und auf ihre Beförderung hofft.

Was solls: Curiousity, embrace the mess, practice reflection. 

Geleitet von diesem Grundsatz gehen und denken wir mutig weiter. Ab und zu schielt jemand nach oben auf die Förderfibel.

Und dann kommen sie. Nach dem Ende des Projektendes. Die Prüfer der Prüfer. Denn die Prüfer haben uns schon geprüft. Das hatten wir schon überstanden. Aber die Prüfer der Prüfer, mit denen hatten wir nicht gerechnet. Jetzt sind sie da. Deloitte. In Buchhalterkreisen nennt man sie - die Toilette. Und ihre Waffe ist  die 400 Seiten lange Förderfibel. Es hat uns ein ganzes Jahr wirklicher Zusammenbrüche gekostet, nachdem die Prüfer der Prüfer entdeckt haben, das wir den Absatz 4 auf Seite 396 der Förderfibel, bzw. dessen Änderung vom 30.03 2008, zu finden in der Ausgabe vom 01.03. 2009 (NICHT vorher), nicht gelesen hatten. Es hat uns Stunden um Stunden nun wieder unbezahlter Arbeit, und einige Anwälte mit unfassbaren Stundensätzen gekostet, um diesen Fehler wieder auszubügeln. Ein Fehler, irgendwo in den Tiefen der Verwaltung. Ein Fehler, der sich in wirklich überhaupt keiner Weise auf die Projektarbeit ausgewirkt hat. Und es hat uns nicht geholfen, dass die Prüferin von damals diesen Absatz auch nicht kannte. Dass sie uns, als wir den Fehler voller Unwissenheit und vor ihren Augen begingen, nicht darauf hingewiesen hat. Das war völlig egal. 

Kurz bevor es tatsächlich überstanden war, erreichte uns eine Weihnachts-Email der D. Stiftung: „Unbekannte gemeinnützige Bildungsinitiativen mit Potenzial: Diese guten Ideen möchte der Hidden Movers Award der Deloitte-Stiftung noch erfolgreicher werden lassen.“ Strahlende Kinder vor einem Hintergrund zart auslaufenden Blaus. Wir hatten keine Zeit uns darauf zu bewerben.

Dann, so im Februar, als sich die Wogen geglättet hatten, und wir schon mit dem nächsten Projekt beschäftigt waren, kam wieder einmal Besuch aus Reihen des Senats. Prüfer. Nicht die Prüfer der Prüfer. Beim Durchblättern von Aktenordnern und beiläufigem Plaudern über den Alltag der Verwaltungsarbeit sagte die sehr nette Dame: „Ach, Deloitte... Wissen Sie, ich sehe das so: Das sind junge Männer. Die haben zwar Anzüge an, aber es sind Jäger. Und wenn sie mit leeren Händen kommen, stehen die nicht gut da. Das geht natürlich nicht. Sie MÜSSEN also einen Fehler finden. Verstehen Sie? Und sie finden ihn auch. Jedes Mal. Deswegen gebe ich euch jetzt einen Tipp. Baut den Fehler mit ein! Bewusst. Für Deloitte, so dass sie ihn gleich finden. Und dann seid ihr vorbereitet und wisst genau, welche Hebel ihr in Bewegung setzen müsst, um heile aus der Sache rauszukommen. So mache ich das auch immer.“ Aha, so geht das. Welcome to the CLUB!

Trotzdem - nach sieben Jahren war die Sache vom Kopf auf die Füße gestellt. Noch drei weitere Jahre, und sie war ein klar definiertes Gegenüber, offen in alle Richtungen, voller Elan und unwiderruflich DA.

Wie DA - 

darüber möge man sich an anderer Stelle informieren. Hier geht es nur um die Welt, in die diese Institution hinein geboren wurde. Und an dessen Grenzen sie nun stößt. Denn nun haben wir sie erreicht:

Die gläserne Decke der deutschen Förderlandschaft.

Bevor wir uns gemeinsam den Kopf daran stoßen, bleiben wir mal kurz stehen und wenden uns um für ein paar Dankesworte. Liebe Förderlandschaft, dank Deiner Hilfe haben wir diese ganze Zeit überlebt. Wir sind gewachsen und gediehen. Aus unserer Mitte sprießt ein wunderbares Gebilde. Es hat im Dickicht der Stadt Stellung bezogen, es wird besiedelt von vielen, sehr verschiedenen jungen Menschen. Die, um die es uns allen die ganze Zeit ging. Sie leben hier, sie bringen ihre Freunde mit, die bringen ihre Freunde mit. Es kommen stetig welche hinzu, sie entwickeln und entfalten sich. Sie sind innovativ. Von all dem haben wir euch unzählige Male berichtet. Dank euch sind wir das geworden, was wir nun sind. Und jetzt?

So sehr wir es auch versuchen, wir können uns keine weiteren zehn Jahre als „Projekt“ verkaufen. Je größer wir werden, desto sichtbarer werden wir auch.

Daher führe ich beim Antragschreiben mittlerweile ständig diese Form von Stellvertreter-Selbstgesprächen: 

Formular: Das unterscheidet sich nicht genug von dem vorausgegangenen Projekt. 

Ich: Stimmt. Es ist, wenn ich ganz ehrlich bin, auch kein völlig anderes Projekt. Es geht darum, Strukturen weiter zu entwickeln und zu verstetigen, die wir in jahrzehntelanger Erprobung aufgebaut haben.

Formular (gnädig): Dann versucht es doch mit einer neuen Zielgruppe. 

Ich: Zielgruppen! Dazu könnte man eine neue Abhandlung schreiben. Aber um es kurz zu machen: Es geht uns zutiefst, in aller Bescheidenheit, und mit jeder einzelnen Faser unserer Konzeption, um Diversität. Das heißt: Eine extrem große Altersspanne, junge Menschen unterschiedlichster Herkunft, Glaubensrichtungen und Sozialisationen. Wie viele neue Zielgruppen sollen wir noch aus dem Hut zaubern für euch? 

Formular: Sie haben aber auch auf alles eine Antwort. Na dann erklären Sie mal: Was soll zum Beispiel diese große Altersspanne? Sehen Sie hier irgendwo ein Feld, wo man ankreuzen kann: Altersgruppe 12-24 Jährige? Nein? Und das aus gutem Grund. Weil, so etwas kann doch nicht gut gehen. 

Ich: Ja, das sagt die bisherige Erfahrung. Aber es geht auch anders. Wenn ihr es nicht glaubt, kommt uns mal besuchen.

Das Formular verschwindet kurz. 

Aus dem Off: Wie oft sind Sie eigentlich schon gefördert worden? Hmhmhm... Uhhh! Das ist oft! Das Formular kommt zurück, inzwischen etwas gereizt: Denken Sie, sie sind die einzigen, die hier w

as auf die Beine stellen wollen? 

Ich: Nein, natürlich nicht...

Formular: Offenbar haben Sie ja schon eine Menge Erfahrung. Dann tut es mir leid. Ich muss mich jetzt um die kümmern, die neu sind hier. Verständlich oder?

Wir sind von Dauer. 

Wir können und wollen nicht mehr so tun, als wäre es jedes Jahr völlig anders. Neue Idee! Neues Projekt! Neue Zielgruppe!

Auch nicht alle drei Jahre. Es entwickelt sich, entfaltet sich, erblüht auf dem Boden dessen, was schon da ist. 

Habt ihr denn damit nicht gerechnet?

War das nicht das gemeinsame Ziel?Nachhaltigkeit? Verstetigung?

Auf diese Fragen, die wir uns ständig stellen, die wir aber bisher nicht wirklich laut gestellt haben, erhielten wir bislang keine wirklich befriedigende Antwort.

Hier ist - anscheinend - einfach Schluss. BUMMS! Die gläserne Decke ist erreicht.

Nur, um es klar zu machen: 

Wir könnten so weitermachen. 

Belohnungsprinzip.

Wahre und unwahre Arbeit.

Innovation und Nachhaltigkeit. 

Effizienz und Institutionalisierung.

Aber es wird immer schwerer. Weil wir nicht mehr reinpassen. Weil wir zu selbständig sind. Und wir glauben, dass wir nicht die Einzigen sind, denen es so geht. Im Interesse aller Initiativen, die nach dem Graswurzel-Prinzip gewachsen sind und irgendwann keine Graswurzeln mehr waren, sondern Bäume, Sträucher, mit Stacheln und Blüten, mit Blättern und Früchten:

Wie sichert dieses System unser Bestehen?

Um eine letzte kleine Geschichte zu erzählen: Wir haben uns mal erkundigt, wie man an eine reguläre Förderung vom Jugendamt herankommt. Um quasi unser grundlegendes Bestehen zu sichern. Wir sind Träger der freien Jugendhilfe. Es gibt uns lange. Wir haben bald 4000 Berliner Jugendliche erreicht mit unserer Projektarbeit. Wann werden die auf uns aufmerksam? Von selbst natürlich nie. Die haben ja unfassbar viel zu tun. Aber anrufen kann man sie. Wir haben viele, viele Telefone auf vielen, vielen Schreibtischen klingeln lassen. Jedes Mal, wenn Jemand abgenommen hat, verwies er uns an den nächsten Schreibtisch. Eine Kollegin hat es schließlich geschafft und einmal im Kreis herumtelefoniert. Sie landete am Schluss wieder dort, wo sie angefangen hatte. Was sie dann hörte war ungefähr folgendes: „Junge Frau, ick sage ihnen jetzt mal was. Ne Regelfinanzierung vom Jugendamt zu bekommen, det is unwahrscheinlicher als n Sechser im Lotto.

Sehr viel mehr gibt es dazu nicht mehr zu sagen.

Hier unter der gläsernen Decke umgibt uns das Schweigen derer, die sich nicht zuständig fühlen. 

In dieses Schweigen hinein stelle ich jetzt nur noch ein paar allerletzte Fragen:

Wie sollte ein Stiftungswesen aussehen, das an dieser Stelle eingreift?

Welche „Auflagen“ wären hier sinnvoll und angebracht, welche nicht?

Und wenn es dieses Wesen gäbe und wir gemeinsam die gläserne Decke sprengten,

wo kämen wir dann hin?

...

Wär das nicht schön?